An Ermunterung und anteilnehmendem Interesse durch den damaligen Vorzeige-Herrscher der Aufklärung Friedrich den Großen an Voltaires Stück, das von einem Kameltreiber handelt, der vorgeblich Kontakt zu einem Erzengel hatte und sich fortan Prophet nannte, fehlte es wahrlich nicht:

Für den Westen geht es seit geraumer Zeit ans Eingemachte. Daß der Chefredakteur von „France Soir“ entlassen wurde, weil er Kritik am muslimischen Religionsstifter zu üben wagte, genauer: weil er Dokumente dieser Kritik zur Veröffentlichung freigab -, das wird von westlichen Journalisten mit Sorge gesehen und, zumal von dessen Kollegen zu Recht als ein Schlag ins Gesicht der französischen Identität betrachtet. Wer in (nicht nur) Frankreich auch nur über ein Minimum an literarischen Kenntnissen verfügt, denkt in dieser Angelegenheit sofort an Voltaires berühmte Tragödie „Mahomet“. Sie gilt auch heute noch als ein Schlüsseltext der europäischen Aufklärung. 1740 vollendet, 1742 uraufgeführt, in einem Akt maliziöser Diplomatie dem damaligen Papst Benedikt XIV. gewidmet, der sie gütigst entgegennahm, wurde das Stück schnell zu einem Politikum der geistigen Welt. In Deutschland hat sich kein Geringerer als Goethe für seine Verbreitung eingesetzt. Er selbst übertrug es 1802 ins Deutsche.

voltaire.jpg

Voltaire selber wiederum hat bei der Entstehung Ermunterung und anteilnehmendes Interesse durch den damaligen Vorzeige-Herrscher der Aufklärung Friedrich den Großen erfahren – so ist das Stück auch vielfältig mit der deutschen Geistesgeschichte verknüpft. Keinem anderen Gesprächspartner gegenüber hat sich der große Franzose so ausführlich über Sinn und Ziel seines fanatismuskritischen Hauptwerks ausgesprochen wie gegenüber dem Preußenkönig.

Voltaire an „Ew. Majestät“

In seinem großen Brief an Friedrich II. vom Dezember 1740 hält er zunächst einmal fest: „Ew. Majestät wissen, welcher Geist mich beseelte, als ich dieses Werk verfaßte. Die Liebe zum Menschengeschlecht und das Grauen vor Fanatismus haben meine Feder geführt.“ Eine krude Handlung, die Vatermord und blutschänderischen Beischlaf als Folge übertriebener Gottesfürchtigkeit zeigt, sollte Voltaire zufolge auf ein allgemeines Problem hinweisen, keineswegs nur Kritik am muslimischen Fundamentalismus sein. „Bis zu den ältesten Verbrechern“ zurück, so Voltaires These, reiche das Verbrechen aus religiösem Fanatismus. Auch die französische, die zivilisierte Welt seiner Gegenwart sei von dieser Versuchung nicht gefeit: „In demselben Jahrhundert, in dem auf der einen Seite die Vernunft ihren Thron errichtet, sieht man auf der anderen Seite den absurdesten Fanatismus und Aberglauben seine Altäre bauen“, schreibt Voltaire an Friedrich.
Mag die Quintessenz des Stückes auch auf die vielzitierte Formel zulaufen: „Der Geist der Milde zeugt Brüder, jener der Intoleranz aber Ungeheuer“ und also eine allgemeine Wahrheit aussprechen, im Kern ist das Stück natürlich doch eine Auseinandersetzung mit dem sehr speziellen Fanatismus muslimischer Prägung.

Voltaires Mohammed-Bild: Vom Kamelhändler via Treffen mit Erzengel zum Propheten

Was Voltaire von Mohammed hielt, den er sowohl aus der Biographie Boulainvilliers kannte, als auch aus einer englischen Übersetzung des Korans, läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:

„Ich gebe zu, daß wir ihn hochachten müßten, wenn er, als legitimer Herrscher geboren oder mit Zustimmung der Seinen an die Macht gelangt, Gesetze des Friedens erlassen hätte. Doch daß ein Kamelhändler in seinem Nest Aufruhr entfacht, daß er mit ein paar Koreischititen“ – Stammesmitglieder – „seine Brüder glauben machen will, daß er sich mit dem Erzengel Gabriel unterhielte; daß er sich damit brüstet, in den Himmel entrückt worden zu sein und dort einen Teil jenes unverdaulichen Buches empfangen zu haben, das bei jeder Seite den gesunden Menschenverstand erbeben läßt, daß er, um diesem Werke Respekt zu verschaffen, sein Vaterland mit Feuer und Eisen überzieht, daß er Väter erwürgt, Töchter fortschleift, daß er den Geschlagenen die freie Wahl zwischen Tod und seinem Glauben läßt: Das ist nun mit Sicherheit etwas, das kein Mensch entschuldigen kann, es sei denn, er ist als Türke in die Welt gekommen, es sei denn, der Aberglaube hat in ihm jedes natürliche Licht erstickt.“

Sehen wir das mal differenzierter

Mohammed, der „obskure Kamelhändler, auf dessen religiöse Lehren nur geistig minderbemittelte Türken hereinfallen“, das war natürlich auch für die Zeit Friedrichs des Großen und Ludwigs XV. starker Tobak, den wir heute differenzierter sehen. Aber in seiner Diagnostik der psychologischen Grundvoraussetzungen für Mohammeds großen Erfolg erwies sich der französische Aufklärer denn doch von einiger Weitsicht.

Der klassische Glaubenskrieger, so erklärte es Voltaire dem Preußenkönig, seien junge, ledige Männer um die zwanzig – wie die Hauptfigur Séide in seinem Stück. Doch: „Balthasar Gérard (der Attentäter Wilhelms von Oranien) „war zwanzig. Vier Spanier, die sich mit ihm verschworen hatten, den Prinzen zu töten, waren im selben Alter. Das Monstrum, das Heinrich III. mordete, zählte dreiundzwanzig Jahre. Poltrot, der den großen Herzog von Guise tötete, war fünfundzwanzig; das ist das Alter für Verführung und Raserei.“ Auch dies ist also kein Problem der muslimischen Welt allein.

In Voltaires „Mahomet“ werden anthropologische Konstanten verhandelt. Deshalb hat das Stück bis heute seine Gültigkeit bewahrt. Mag es unter anderem dazu dienen, personalpolitische Fehlentscheidungen in den französischen Medien rückgängig zu machen und Fundamentalisten jeder Coleur auf den Teppich zu holen, auch und gerade, da (von wegen „anderer Kulturkreis) mittlerweile auch Goethe von ihnen vereinnahmt wird

Goethes Übertragung des Voltairschen Textes (PDF)

J. W. v. Goethe: Mohamet – Trauerspiel in fünf Aufzügen, nach Voltaire

Sep 2012 | Allgemein, Feuilleton, Politik, Sapere aude | 3 Kommentare